Rückblick auf die Fachtagung "Antisemitismus heute"

 

Fachtagung vom 4. bis 5. Februar 2013
Antisemitismus heuteVorurteile im alten und neuen Gewand – was tun?

Antisemitismus ist in Deutschland bis heute weit verbreitet. Extremistische Gruppierungen zeigen öffentlich Hass und bedienen Vorurteile. Aber auch in der Mitte der Gesellschaft werden Klischees und Ressentiments geprägt.

Heute tritt Antisemitismus in altbekannten und zugleich  in neuen Ausprägungen auf. Diese haben sich angesichts des Nahostkonfikts, im Zuge der Finanzkrise und der Globalisierungskritik und auch als Reaktion auf die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und der national-sozialistischen Vergangenheit herausgebildet.

  • Wie sind die Entwicklungen einzuordnen?
  • Woran kann man sie im Alltag erkennen?
  • Und was lässt sich dem Antisemitismus im alten und neuen Gewand entgegensetzen?

Rund 80 Multiplikatoren aus Schulen, Projekten der Extremismusprävention, Gedenkstätten und anderen pädagogischen Einrichtungen nahmen an der Fachtagung „Antisemitismus heute. Vorurteile im alten und neuen Gewand – was tun?“ teil.

Bei der Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung, die vom 4. bis zum 5. Februar 2013 im Haus auf der Alb in Bad Urach stattfand, präsentierten namhafte Experten aus der Fachwissenschaft und der Bildungsarbeit aktuelle Erkenntnisse der theoretischen und empirischen Antisemitismusforschung.


Programm Flyer der Fachtagung (Download als PDF)


Rückblick:

Um antisemitischen Einstellungen zu begegnen, bedarf es gegenwartsbezogener Handlungsansätze, die Dialog und Auseinandersetzung statt belehrender und moralisierender Wissens- und Wertevermittlung fördern.


Die Teilnehmer kamen von Schulen, Hochschulen, Gedenkstätten, Projekten der Extremismusprävention und von anderen pädagogischen Einrichtungen. Foto: LpB

Mit diesem Ergebnis ist die Fachtagung zu Ende gegangen.
Die Teilnehmer erarbeiteten ein didaktisch-methodisches Instrumentarium zur Bekämpfung antisemitischer Einstellungen. Gemeinsam mit den Referenten formulierten sie Empfehlungen für die Präventionsarbeit.

DIE EMPFEHLUNGEN (Download PDF)


Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber bei seinem Vortrag „Antisemitismus: Definition – Ideologieformen – Unterscheidungen“. Foto: Lpb

„Die politische Bildungsarbeit zum Antisemitismus orientiert sich noch immer zu sehr am ,Dritten Reich’ und am Holocaust“, stellteProf. Dr. Armin Pfahl-Traughber von der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl fest. Damit finde eine Fixierung auf besonders stark ausgeprägte und folgenreiche Formen der Judenfeindschaft statt.

Mehr Informationen, Statement Prof. Dr. Pfahl-Traughber (Download PDF)

Zu dieser Feststellung kamen auch andere Experten und Teilnehmer der Fachtagung. AuchProf. Dr. Albert Scherr, Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, problematisierte die Holocaust-Erziehung. Verbunden mit der moralischen Botschaft einer gesellschaftlich unerwünschten Judenfeindschaft lege diese auch Denkmuster nahe, denen zufolge Juden einer Sondergruppe angehörten.

Der Mannheimer Historiker Prof. Dr. Peter Steinbachwarb für einen Geschichtsunterricht, der auf die Vermittlung von historischen Kenntnissen und zugleich auf gegenwartsbezogene Handlungsorientierung ausgerichtet ist. Im historisch-politischen Unterricht ließen sich Probleme des Zusammenlebens wie beispielsweise die Erfahrung von Ausgrenzung thematisieren. Es gelte, die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus als Chance zur kritischen Selbstbefragung zu begreifen.

Susanne Benizri, die an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg das Jugend-Projekt Likrat betreut, berichtete von Ausgrenzungserfahrungen jüdischer Schüler, sobald sie im Schulunterricht den Nationalsozialismus und den Holocaust durchnehmen. Die Erziehungsreferentin der IRG Baden sprach sich dafür aus, bei der Bekämpfung antisemitischer Einstellungen mit positiven Vorbildern zu arbeiten und Orientierung anzubieten.


An dem Podiumgespräch nahmen Experten zu den Handlungsfeldern in der Antisemitimusprävention teil: Regina Bossert (LpB). Prof. Dr. Andreas Scherr (PH Freiburg), Susanne Benizri (Likrat-Projekt), Prof. Dr. Peter Steinbach (Universität Mannheim), Sigi Frech (LpB). Foto: LpB

Die Fachtagung forderte den Einsatz gegenwartsbezogener Handlungsansätze, die Themen wie den Nahostkonflikt, Islamismus sowie die sich wandelnde Wahrnehmung gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen in die Präventionsarbeit einbeziehen.


Prof. Dr. Andreas Zick nach seinem Vortrag „Antisemitismus in Deutschland – Zahlen, Daten, Fakten“. Foto: LpB

Prof. Dr. Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld stellte Forschungsergebnisse zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit vor.
Ausgangspunkt dieser Untersuchungen ist die Feststellung: „Die humane und demokratische Qualität einer Gesellschaft bemisst sich im Umgang mit schwachen Gruppen.“
Der Bielefelder Sozialpsychologe wies auf Einstellungsveränderungen hin, die eine antisemitische Haltung befördern können – wie etwa anwachsende Bedrohungsgefühle in der Mitte der Gesellschaft oder auch das um sich greifende Misstrauen gegen Politik und Demokratie. „Antisemitismus hängt mit nationalistischen Vorstellungen, Machtansprüchen und mangelnder demokratischer Orientierung zusammen.“

Zugleich machte der Wissenschaftler auf eine weitere Besonderheit aufmerksam: Je höher das Bildungsniveau, desto schwächer sei der Antisemitismus ausgeprägt. Doch auf emotionaler Ebene verschwinde dieser Effekt: „Die gut situierten Schichten stimmen in einem immer stärkeren Maße Vorurteilen zu.“ Prof. Dr. Andreas Zick wertete zudem empirische Daten zu Baden-Württemberg aus. 

Mehr Informationen, Statement von Prof. Dr. Zick (Download PDF)

Besondere Herausforderungen für die Präventionsarbeit ergeben sich aus den Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft. In den heterogenen Schulklassen ist ein anderer Diskurs über Antisemitismus notwendig.
„Der Nahostkonflikt dient vielen Jugendlichen als Projektionsfläche für eigene Diskriminierungserfahrungen“, stellte Dr. Jochen Müller vom Berliner Verein ufuq.de fest.

Um die Nachhaltigkeit der Veranstaltung zu sichern, sind zur Tagungsdokumentation Publikationen verschiedener Zeitschriftenredaktionen der Landeszentrale geplant. Die Zeitschrift „Der Bürger im Staat“ wird die Ergebnisse der Fachtagung bündeln. Die Zeitschrift „Politik und Unterricht“ wird daran anknüpfen und didaktisch aufbereitete Handlungsansätze für eine rassismus- und antisemitismuskritische Bildungsarbeit vorstellen.

Den Anstoß zu der Tagung hatte der erste Antisemitimusbericht vom Januar 2012 gegeben, mit dem der Deutsche Bundestag ein interdisziplinär besetztes Expertengremium beauftragt hatte.

Der Bericht, für den zahlreiche Untersuchungen ausgewertet wurden, geht davon aus, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland antisemitische Einstellungen pflegen. Der Antisemitismus ist somit kein Phänomen des „rechten“ Randes oder des islamistischen Spektrums, er reicht vielmehr tief in die Mitte der Gesellschaft hinein.

In einem umfangreichen Schlusskapitel gibt der Bericht Empfehlungen zur Präventionsarbeit – und stellt kritisch fest: „Eine umfassende Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland existiert nicht.“ Die beteiligten Wissenschaftler fordern ein breit gefächtertes pädagogisches Instrumentarium zur erfolgreichen Prävention und Abwehr antisemitischer Einstellungen.
Zum Antisemitismusbericht 2012

Am Abend des ersten Tagungstags las die Schriftstellerin Lena Gorelik in der Stadtbücherei Bad Urach aus ihrem Buch „Lieber Mischa:…. Du bist ein Jude“.
Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Öffentlichkeit in das Programm der Fachtagung einbezogen.

 
Auftakt der Lesung: Silke Schönherr von der Stadtbücherei begrüßt (links) Lena Gorelik (rechts), in der Mitte die Moderatorin Sibylle Thelen (LpB). Foto: Leonie Schuster

 


Lena Gorelik las im voll besetzten Saal der Stadtbücherei Schlossmühle Bad Urach. Foto: Leonie Schuster

Flyer der Lesung von Lena Gorelik


Hintergrundinformation:

Die Fachtagung „Antisemitismus heute“ wurde von mehreren Fachbereichen der Landeszentrale gemeinsam vorbereitet, um das Thema aus einer interdisziplinären Perspektive zu beleuchten, und von der Baden-Württemberg Stiftung unterstützt.

Das Projekt „Team meX. Mit Zivilcourage gegen Extremismus“
führt Projekttage für Jugendliche zur Extremismusprävention durch. Für Multiplikatoren werden Workshops und Vorträge zu den Themen Rechtsextremismus- und Islamismusprävention angeboten. Das Projekt wird in Kooperation mit dem Landesamt für Verfassungsschutz durchgeführt und von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert.
www.team-mex.de

Der Fachbereich Gedenkstättenarbeit unterstützt die vorwiegend ehrenamtlich geleistete Forschungs- und Vermittlungsarbeit an den Gedenkstätten in Baden-Württemberg. Er gibt Publikationen heraus, bietet Fortbildungen an und koordiniert die Fördermittel des Landes. Die Gedenkstätten haben sich als außerschulische Lernorte etabliert. Gut 40 Prozent der mehr als 220.000 Besucher sind Jugendliche. www.gedenkstaetten-bw.de 

Die Redaktionen der beiden LpB-Zeitschriften „Der Bürger im Staat“ und „Politik & Unterricht“ waren an der Fachtagung ebenfalls beteiligt.
LpB-Zeitschriften „Der Bürger im Staat“
Lpb Zeitschrift „Politik & Unterricht“

 

Unterstützt von:


Programm:

Montag, 4. Februar 2013

10.00.UhrBegrüßung
Lothar Frick, Direktor der LpB
10.15 Uhr

Antisemitismus:  Definition – Ideologieformen – Unterscheidungen
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl

13.30 UhrAntisemitismus in Deutschland –  Daten, Zahlen, Fakten
Prof. Dr. Andreas Zick,  Universität Bielefeld, Institut für interdisziplinäre Konfikt- und Gewaltforschung
16.00 UhrAntisemitismus in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit – Ursachen, Erscheinungsformen, Handlungsansätze 
Podiumsgespräch mit Impulsen von
Susanne Benizri, Jugend-Dialog-Projekt Likrat, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg
Prof. Dr. Albert Scherr, Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Soziologie
Prof. Dr. Peter Steinbach, Universität Mannheim, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte sowie wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin
17.30 UhrVorstellung der Workshops
20.00 Uhr„Lieber Mischa: … Du bist ein Jude“
Lesung und Gespräch mit der Schriftstellerin Lena Gorelik

Stadtbücherei Schlossmühle,  Graf-Eberhard-Platz 10, 72574 Bad Urach
Programm (Download als PDF)

Dienstag, 5. Februar 2013

9.00.UhrWorkshops (zeitgleich):
  1. Praktische Ansatzpunkte einer rassismus-  und antisemitismuskritischen Bildungsarbeit
    Tami Ensinger, Jugendbegegnungsstätte  Anne Frank, Frankfurt am Main

  2. Chancen und Grenzen der historisch-politischen Bildungsarbeit in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus
    Patrick Siegele, Anne Frank Zentrum, Berlin

  3. Antisemitismus und Israelhass bei Jugendlichen –  die Rolle des Nahostkonfikts und Optionen der pädagogischen Intervention
    Dr. Jochen Müller, ufuq.de e.V., Berlin
14.00.UhrKurze Berichte aus den Workshops
14.45 UhrNew Faces. Interkulturell, jugendkulturell und über Generationen hinweg gegen  Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft
Gabriele Rohmann, Archiv der Jugendkulturen e.V., Berlin
15.30 UhrZusammenfassung und Ende der Tagung
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