Gedenkstättenreise mit Regierungspräsident Johannes Schmalzl

In Baden-Württemberg erinnern mehr als 70 Gedenkstätten an die Verbrechen der NS-Diktatur.

Acht dieser authentischen historischen Lernorte im württembergischen Landesteil besuchte Regierungspräsident Johannes Schmalzl am 10. und 11. September 2013 bei einer Gedenkstättenreise in Kooperation mit der LpB.

Er nutzte die Gelegenheit, nicht nur die Forschungs- und Vermittlungsarbeit an den unterschiedlichen Gedenkstätten zu erkunden, sondern vor allem die zumeist ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ermutigen, ihre historisch-politische Bildungsarbeit vor Ort weiter voranzutreiben. 

1. Station, Ulm: Auftakt am Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg KZ Gedenkstätte, Ulm e.V.
Die ersten Stationen der Gedenkstättenreise führten den Stuttgarter Regierungspräsidenten in Begleitung von Sibylle Thelen, der LpB-Fachreferentin für Gedenkstättenarbeit, sowie von Ulrich von Sanden, dem Fachreferenten für Geschichte am RPS, über die Grenzen seines Bezirks hinaus nach Ulm.

Dort, im Fort Oberer Kuhberg, befand sich von November 1933 bis Juli 1935 das Konzentrationslager für das Land Württemberg. Das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg KZ-Gedenkstätte, Ulm e.V. (DZOK) erinnert an diese Zeit. Dr. Nicola Wenge, die wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte, führte durch die Dauerausstellung „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ im Parterre der ehemaligen KZ-Kommandantur und durch die Kasematten, in denen die Häftlinge unter katastrophalen Bedingungen zusammengepfercht waren. Anders als die meisten Gedenkstätten verfügt das DZOK über hauptamtliche Beschäftigte, die von Ehrenamtlichen unterstützt  ein umfangreiches Programm anbieten: Das DZOK hatte im Jahr 2012 etwa 12.000 Besucher, ermöglichte unter anderem 380 begleitete pädagogische Angebote und führte acht Fortbildungen für Lehrer bzw. künftige Lehrer durch.
Weitere Informationen zur Gedenkstätte (Gedenkstättenportal der LpB)

2. Station, Ulm: Ausstellung „Wir wollten das andere“ der DenkStätte Weiße Rose im EinsteinHaus
Dr. Wenge, zugleich Mitglied des Sprecherrats der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen (LAGG), begleitete den Regierungspräsidenten auch zur 2. Station in Ulm, zur Ausstellung „Wir wollten das andere“ der DenkStätte Weiße Rose im EinsteinHaus, die von Hans und Sophie Scholl sowie von weiteren jungen Ulmer NS-Gegnern erzählt. Die Historikerin Dr. Dagmar Engels, zugleich Leiterin der Ulmer Volkshochschule, führte in die von ihr initiierte und im Jahr 2000 eröffnete Ausstellung ein. Nach diesem beeindruckenden Auftakt in Ulm ging es dann in den Landkreis Schwäbisch Hall zu den nächsten vier Stationen.
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3. Station, Bühlerzell: Friedhof der „Ausländerkinder-Pflegestätte“ Gantenwald
Ein Gehöft in Gantenwald diente von 1943 an als sogenannte „Ausländerkinder-Pflegestätte“. Der NS-Staat hatte beschlossen, schwangere Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa nicht mehr zurück in ihre Heimat zu schicken. Ihre Arbeitskraft sollte nun auch unmittelbar nach der Entbindung ausgebeutet werden. Die Frauen wurden zur Niederkunft nach Gantenwald gebracht, wenige Tage später mussten sie weiterarbeiten, die Kinder blieben in der Einrichtung. Von Juni 1944 bis April 1945 wurden in Gantenwald mindestens 52 Kinder geboren. Sie blieben mehr oder weniger ohne Nahrung und Pflege sich selbst überlassen.


RP Johannes Schmalzl (links) mit  Bürgermeister Franz Rechtenbacher

Mindestens 20 starben, zwölf wurden auf dem kleinen Friedhof begraben, den Regierungspräsident Schmalzl als 3. Station seiner Gedenkstättenreisebesuchte: ein kleines, von einer Hecke umgebenes Gräberfeld am Waldrand, in Sichtweite das Gehöft. „Dies ist eine der bittersten Stationen“, sagte der Regierungspräsident, der vom Bühler Bürgermeister Franz Rechtenbacher begleitet wurde. Bevor dieser 1982 sein Amt angetreten hatte, war in der Gemeinde die Einebnung des Gräberfelds diskutiert worden; der Vorgang hatte über die Region hinaus für Aufsehen gesorgt. Heute wird der Friedhof regelmäßig gepflegt. Seit 1986 erinnert eine Skulptur des Bildhauers Hermann Koziol an das Schicksal der Mütter und ihrer Kinder.
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4. Station, Crailsheim: der Geburtsort von Hans Scholl
Gleich drei Initiativen setzen sich in Crailsheim/Ingersheim, dem Geburtsort von Hans Scholl, dafür ein, die Erinnerung an die Weiße Rose wach zu halten: der Weiße Rose Arbeitskreis Crailsheim e.V., das Scholl-Grimminger-Forum, Ingersheim, und die Initiativgruppe Geschwister Scholl.

Oberbürgermeister Rudolf Michl empfing die Besuchergruppe gemeinsam mit der Vorsitzenden des Arbeitskreises, Ursula Mroßko, und weiteren Mitstreitern der Initiativen im Rathaus Crailsheim. Regierungspräsident Schmalzl ließ sich die Wanderausstellung des Arbeitskreises und dessen neue Medienstation zeigen, an der sich Biografien, Dokumente wie etwa Flugblätter und auch Filmausschnitte mit Zeitzeugenberichte abrufen lassen. Stadtarchivar Folker Förtsch führte die Möglichkeiten des mobilen Gerätes vor. Anschließend fuhr der Regierungspräsident zum Geburtshaus von Hans und Inge Scholl in Ingersheim, das in Privatbesitz ist. Schließlich wurde er in der Geschwister-Scholl-Schule empfangen, wo man historische und politische Bildungsarbeit auf vielfältige Weise verknüpft – und dabei einen Veranstaltungsraum nutzen kann, der mit Möbeln der Familie Scholl und von Eugen Grimminger ausgestattet ist.

Empfang bei OB Hermann-Josef Pelgrim, Rathaus Schwäbisch Hall
Mit einem Empfang, zu dem der Oberbürgermeister von Schwäbisch Hall, Hermann-Josef Pelgrim, gemeinsam mit dem Regierungspräsidenten in das Rathaus lud, ging der erste Tag der Gedenkstättenreise zu Ende.

Der OB verwies auf die lebendige Erinnerungskultur in seiner Stadt. So findet beispielsweise anlässlich des 75. Jahrestags des Novemberpogroms 1938 eine Reihe von Veranstaltungen statt, bei der Gedenkstätten und andere Einrichtungen in Schwäbisch Hall kooperieren, vermittelt nicht zuletzt auch durch die Erste Bürgermeisterin Bettina Wilhelm.

Regierungspräsident Schmalzl schilderte die vielfältigen Eindrücke seiner Reise. Beeindruckt berichtete er vom ehrenamtlichen Engagement, ohne das sich die baden-württembergische Gedenkstättenlandschaft nicht vorstellen ließe.

Sibylle Thelen blickte auf die Entstehungsgeschichte der Gedenkstätten zurück. Viele seien gegen den Widerstand im unmittelbaren Umfeld eingerichtet worden. Heute hätten sich die Gedenkstätten als außerschulische Lernorte etabliert. Jeder zweite Euro der Projektförderung des Landes fließt ihren Worten zufolge in die Vermittlungsarbeit.

Vertreterinnen und Vertreter von sechs Gedenkstätten stellten ihre Arbeit vor: das Rabbinatsmuseum Braunsbach, der Friedhof der „Ausländerkinder-Pflegestätte“ Bühlerzell-Gantenwald, der Weiße Rose Arbeitskreis Crailsheim e.V., die Erinnerungsstätte „Männer von Brettheim“ in Rot am See, die KZ-Gedenkstätte Schwäbisch Hall-Hessental sowie der Käshof im Hohenloher Freilandmuseum Schwäbisch Hall-Wackershofen. Dort wird, betreut vom Haus der Geschichte, eine ehemalige Zwangsarbeiterbaracke als Ausstellungsgebäude hergerichtet.

Kein anderer Landkreis hat so viele aktive, der Forschungs- und Vermittlungsarbeit verpflichtete Lern- und Gedenkorte wie Schwäbisch Hall.

5. Station: KZ-Gedenkstätte Hessental, Schwäbisch Hall
Folker Förtsch begrüßte den Regierungspräsidenten am nächsten Morgen zur Führung über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Hessental, gelegen unmittelbar am Bahnhof, wo von Oktober 1944 bis April 1945 bis zu 900 Häftlinge zusammengepfercht waren, die vor allem bei der Instandhaltung des Fliegerhorstes Hessental eingesetzt wurden – fast jeder zweite starb.

Viele Vereinsmitglieder, darunter auch die Erste Bürgermeisterin Bettina Wilhelm, waren gekommen, um Johannes Schmalzl von ihrer Arbeit für die seit 2001 bestehenden Gedenkstätte zu berichten. Recherchereisen nach England auf eigene Rechnung, Fahrten nach Bad Arolsen in das Archiv, Kontaktpflege zu ehemaligen Häftlingen in aller Welt, aber auch Dokumentation, Führungen, Reparaturarbeiten – es wurde deutlich, wie umfassend die Tätigkeit der Ehrenamtlichen ist. 800 bis 1000 Besucher werden alljährlich über das Gelände geführt.
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6. Station: Rabbinatsmuseum Braunsbach
Im ehemaligen Rabbinatsgebäude in Braunsbach hat das Ehepaar Quirbach ein Museum eingerichtet, das Rabbinatsmuseum Braunsbach. 350 Jahre währte die jüdische Geschichte an diesem Ort. Im 19. Jahrhundert bestand die Einwohnerschaft zu gleichen Teilen aus Katholiken, Protestanten und Juden.  Im Zuge der jüdischen Emanzipation zogen viele Familien in die Städte. Zu Beginn der NS-Diktatur 1933 gab es in Braunsbach noch etwa 50 jüdische Gemeindemitglieder. Vielen gelang die Flucht. 13 wurden deportiert. Ihre Namen sind auf einem der Denksteine vor dem Museumseingang verzeichnet.

Das 2003/2004 eingerichtete Museum, das jährlich 800 bis 1000 Besucher hat, lebt vom Einsatz der Museumsleiterin Elisabeth Quirbach und ihres Mannes, unterstützt von einigen weiteren Ehrenamtlichen: Es dokumentiert die Geschichte der örtlichen Gemeinde, jüdische Kultur und Religion, aber auch die Situation von Juden in anderen Ländern – derzeit ist eine Ausstellung über das Judentum in Ungarn zu sehen.
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7. Station: Ehemaliges KZ Kochendorf, Bad Friedrichshall
Die Gelegenheit, mit dem Regierungspräsidenten Schmalzl in das 180 tief gelegene Besucherbergwerk einzufahren, um die Gedenkstätten zu besichtigen, wollten sich viele nicht entgehen lassen: Der Vorstandsvorsitzende der Südwestdeutschen Salzwerke AG, Kai Fischer, begrüßte  den Regierungspräsidenten, den Landrat Detlef Piepenburg, den Bürgermeister Peter Dolderer – und auch die Gedenkstättenvertreter Detlef Ernst und Markus Schön (Miklos-Klein-Stiftung) sowie Felix Köhler und Michaela Fuchshuber (KZ-Gedenkstätte Vaihingen Enz sowie Sprecherrat der LAGG). Gekommen war auch Herr Riexinger mit seiner Frau, der seit vielen Jahren Besuchergruppen durch die Gedenkstätte führt.

Der Rechtsanwalt Detlef Ernst, einer der Gründer der Gedenkstätte und deren Träger, der Miklos-Klein-Stiftung, führte durch die Ausstellung. Er berichtete, wie er selbst als Schüler in den achtziger Jahren erstmals mit der Geschichte des Außenlagers des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im Elsass konfrontiert wurde – durch einen Zufall. Damals sei das Wissen um das Leid der Menschen an diesem Ort weithin aus dem Bewusstsein geschwunden gewesen. Gemeinsam mit dem Journalisten Klaus Riexinger recherchierte Detlef Ernst vor Ort, forschte in Archiven, knüpfte Kontakte zu Überlebenden, dokumentierte ihre Aussagen und legte damit die Grundlagen zu der Ausstellung, die heute in den neu gestalteten Rundgang des Besucherbergwerks integriert ist.

Etwa 60.000 Personen nutzen heute an den wenigen Öffnungswochenenden von Anfang Mai bis Anfang Oktober die Gelegenheit zum Besuch. Die gigantischen unterirdischen Gänge sollten damals, 1944, zur bombensicheren Rüstungsfabrik ausgebaut werden. KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter schufteten unter mörderischen Bedingungen. Mehr als 200 verloren ihr Leben. Auf einem Todesmarsch starben mehr als 200 weitere Häftlinge.
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8. Station: Abschluss der Gedenkstättenreise in Vaihingen an der Enz
Die Stadt Vaihingen an der Enz war von Anfang an mit von der Partie, als sich Bürgerinnen und Bürger in den neunziger Jahren an die Vorarbeiten für die 2005 eröffnete KZ-Gedenkstätte machten. Die Unterstützung seitens der Stadt kam auch nun zum Ausdruck: Gemeinsam mit Mitgliedern des Vereins KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz e.V. empfingen Alt OB Heinz Kälberer und sein Nachfolger, OB Gerd Maisch, den Regierungspräsidenten bei seiner letzten Station. Gekommen waren zudem Dr. Utz Remlinger, der Erste Landesbeamte in Vertretung von Landrat Haas, der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, Lothar Frick, und Christina Schneider vom Fachbereich Gedenkstättenarbeit.

Felix Köhler führte in die Geschichte des Lagers ein. Gemeinsam betrachteten die Besucher den aufrüttelnden Film, der den Überlebenden und den Toten des Lagers ein Mahnmal in bewegten Bildern setzt. Anschließend ging die Besuchergruppe hinüber zum Friedhof, auf dem gerade erst am selben Nachmittag vier Stelen mit den Namen der mehr als tausend Opfer dieses Orts aufgestellt worden waren: ein würdiger Platz, an dem die Nachfahren der Opfer ihrer Trauer Ausdruck verleihen können.

Mit einer vom Regierungspräsidenten spontan angeregten Gedenkminute für die hier begrabenen Toten fand nicht nur die achte und letzte Station, sondern zugleich die gesamte Gedenkstättenreise einen angemessenen Abschluss.
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