Kolloquium

des Verbundes der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler e.V. (VGKN)

Vom 28. bis zum 30. Oktober 2022 fand das VGKN-Kolloquium „Natzweiler: Netzwerke in Geschichte und Gegenwart“ statt.

Das Kolloquium wurde vom Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler e. V. (VGKN) organisiert und von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB), der Fondation pour la Mémoire de la Shoah sowie der Stiftung Zeitlehren gefördert.

Im Rahmen der Tagung trafen sich Vertreter:innen der 16 VGKN-Gedenkstätten aus Baden-Württemberg und Hessen, des Centre européen du résistant déporté (CERD) sowie Wissenschaftler:innen und Interessierte aus Deutschland und Frankreich.

Die Vorträge wurden in deutscher und französischer Sprache simultan übersetzt und beleuchteten neuste wissenschaftliche Erkenntnisse über historische Netzwerke des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof und dessen Außenlager sowie pädagogische Ansätze der Geschichtsvermittlung.

Den Auftakt zum Kolloquium machten Prof. Dr. Robert Steegmann und André Heck. Unter dem Titel „Wir waren 52.000 / Nous étions 52 000" stellten sie eine digitale Datenbank ehemaliger Häftlinge von Natzweiler vor. Grundlage der Datenbank sind die 30-jährigen Forschungen von Prof.  Steegmann sowie Listen aus den Natzweiler-Gedenkstätten. Die Datenbank umfasst insgesamt drei Entwicklungsstufen, die sich zum Teil noch im Aufbau befinden. Die erste Entwicklungsstufe ist bereits öffentlich zugänglich und ermöglicht es, nach ehemaligen Häftlingen zu suchen. Mit einem Forscher:innen-Antrag kann anschließend auf weiterführende Informationen zugegriffen werden. Diese objektrelationale Datenbank befindet sich im Aufbau und ist auf unterschiedliche Quellenlagen zugeschnitten. Hierdurch wird der dezentralen Forschung Rechnung getragen. Zukünftig sollen in einer dritten Evolutionsstufe auch Transporte innerhalb des Lagerkomplexes nachvollzogen werden können. Der aktuelle Stand der Datenbank ist online abrufbar unter: http://www.natzweiler-database.eu/

Am zweiten Konferenztag lag der Fokus auf den Tätern. Dr. Stefan Hördler (Universität Göttingen/University of Huddersfield) beleuchtete das Personalsystem der SS von 1941 bis 1945 im Lagerkomplex Natzweiler. Er zeigte Netzwerke und Seilschaften im KZ-System auf und identifizierte das KZ Lichtenburg als Ausgangspunkt zahlreicher persönlicher Beziehungen. Seine Ergebnisse stellen dabei die Linearität der Entwicklung im KZ-System infrage und ermöglichen es, SS-Karrierewege besser nachzuvollziehen.

Im Anschluss präsentierte Dr. Gabriele Moser (Université Strasbourg) die Arbeitsergebnisse der unabhängigen historischen Kommission zur Erforschung der Geschichte der Medizinischen Fakultät der Reichsuniversität Straßburg. Ein besonderes Augenmerk galt den Beziehungen zwischen der Medizinischen Fakultät und dem Konzentrationslager Natzweiler, die durch die Forschungen aufgedeckt wurden. In diesem Zusammenhang verwies sie etwa auf die Verlegung kranker Häftlinge nach Straßburg, biomedizinische Forschungen und regelmäßige Korrespondenzen zwischen Konzentrationslager und Reichsuniversität. Diese verflochtene(n) Geschichte(n) steht bzw. stehen, so Dr. Moser, im Gegensatz zum vorherrschenden Bild eines hermetisch abgeschotteten Konzentrationslagers. Der vollständige Bericht ist einsehbar unter: www.unistra.fr/fileadmin/upload/unistra/universite/historique/Rapport_final_Reichsuniversitat_Strassburg_corr.pdf

Das Panel schloss mit Marlene Kottmann (Universität Freiburg). Sie referierte über die juristische Aufarbeitung der Geschichte von Natzweiler im Zuge der Rastatter Prozesse. Diese alliierten Prozesse wurden in der französischen Besatzungszone abgehalten und haben bislang kaum Aufmerksamkeit erfahren. Im Vortrag ging Marlene Kottmann insbesondere auf die Grundlagen und Anfänge der Strafverfolgung ein sowie auf rechtliche Problematiken. Im Anschluss an den Vortrag erhielten die Konferenzteilnehmenden eine Führung durch die Räumlichkeiten der Rastatter Prozesse im ehemaligen Residenzschloss durch Dr. Elisabeth Thalhofer (Bundesarchiv-Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte).

Nach den Einblicken in die vielfältigen Forschungsprojekte lag der Fokus am letzten Tag des Kolloquiums auf der pädagogischen Vermittlungsarbeit. Angelina Schaefer und Christopher Gomer vom Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 präsentierten das Lernangebot „Geschichte erinnern – Erinnerungsgeschichten“, welches in Kooperation mit dem VGKN erstellt wurde. Das Angebot richtet sich insbesondere an jugendliche Projektgruppen, welche sich außerhalb des Schulkontexts mit den Außenlagern des KZ Natzweiler auseinandersetzen. Insgesamt umfasst die Handreichung acht Einheiten à 90 Minuten. Der Aufbau erlaubt es aber auch, nur einzelne Bausteine zu übernehmen, und bietet individuelle Gestaltungsspielräume. Das Lernangebot ist kostenlos verfügbar unter: https://www.vgkn-kolloquium-2022.eu/_files/ugd/468d83_121e7825ce3d4f5d957e640dccfcf3a2.pdf

Mindestens genauso wichtig wie die Vorträge und die anschließenden Diskussionen war die Vernetzungsarbeit, welche in den Pausen und bis in die späten Abendstunden stattfand. In anregenden Gesprächen wurden neue Kontakte geknüpft, alte gepflegt und sich miteinander ausgetauscht. Das leitende Thema der „Netzwerke“ blieb hierdurch nicht nur auf die Vergangenheit begrenzt. Ein weiteres Kolloquium in diesem Format wurde von allen Seiten als wünschenswert erachtet.

Es ist eine vollständige Tagungsdokumentation geplant, die am 31.03.2023 auf der Website des VGKN-Kolloquiums eingestellt werden soll: https://www.vgkn-kolloquium-2022.eu/

Das Programm des Kolloquiums finden Sie hier: Programm

Text: Peter Bratenstein

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