Forschung vom Denkstättenkuratorium NS-Dokumentation Oberschwaben

Zwischen April 1941 und Oktober 1942 wurden in der nördlichen Bodensee-Region elf polnische Kriegsgefangene hingerichtet. Sie waren zwischen 21 und 36 Jahren alt. Nach dem Überfall Deutschlands auf Polen waren sie in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Die Reichsregierung verweigerte den 400 000 Gefangenen den Schutz der Genfer Konvention. Begründung: Der polnische Staat existiere nicht mehr! - Die Gefangenen, zu Zivilisten erklärt, wurden als Zwangsarbeiter in der deutschen Industrie oder Landwirtschaft eingesetzt.

Die Polenerlasse vom 8. März 1940 nahmen den Männern jedes Recht auf eine menschliche Behandlung. Jede Annäherung und Unterhaltung mit den Betroffenen war verboten. Arbeitgeber musste sich im „mündlichen“ Verkehr auf reine Anweisungen beschränken. Auf intime Beziehungen mit deutschen Frauen stand für polnische Männer die Todesstrafe. Denunziationen wegen angeblicher Verfehlungen der polnischen Männer mit deutschen Mädchen/Frauen nahmen die Ortsgruppenleitern entgegen. Beweise waren nicht erforderlich.

Die Anzeigen beruhten meist auf reinen Vermutungen und geschahen aus niedrigen persönlichen Motiven. Die Festnahmen erfolgten durch die Ortspolizisten (Gendarmen). Die Bürgermeister einiger Gemeinden nahmen sich das Recht, mit den Gendarmen die ersten Verhöre vorzunehmen. Die männlichen und weiblichen Verhafteten wurden dabei misshandelt! Die Verantwortlichen übergaben ihre Opfer erst nach Tagen an die Gestapo. Mindestens in einem Fall wurde ein Geständnis erpresst. In einem anderen Fall hatte der eigene Vater seine 17 Jahre alte Tochter denunziert. Der hinzugezogene Gerichtsarzt jedoch konnte keine Spuren eines Geschlechtsverkehrs feststellen! Die Bestrafung des Mädchens und die Hinrichtung des Polen erfolgten trotzdem. Die Exekution fanden öffentlich am letzten Wohnort der Delinquenten statt. Alle polnischen Zwangsarbeiter aus der Gemeinde mussten dabei anwesend sein. Diese berichteten später, dass die verurteilten Männer ausgezehrt und nur noch ein Schatten ihrer selbst waren. Die Körper der Hingerichteten aus Württemberg wurden an die Anatomie der Universität Tübingen, die aus Baden an die Anatomie der Uni Freiburg überführt. 

Die meisten Verfahren gegen die an der Hinrichtung Beteiligten wurden später nach § 170 Abs. II StPO eingestellt. Als Begründung wurde angegeben, „dass ein Tatnachweis nicht zu erbringen sei, denn die Beschuldigten hätten auf Befehl gehandelt. Sie seien davon ausgegangen, gesetzmäßig zu handeln.“- Der ehemalige Landrat von Tettnang erreichte in der Nachkriegszeit sogar noch die Beförderung zum Regierungsdirektor beim Innenministerium in Stuttgart.

Den denunzierten Mädchen und Frauen drohte die totale öffentliche Entwürdigung und nach einer Gefängnisstrafe die Schutzhaft im KZ. Einige der Frauen starben an Unterernährung, Misshandlung, an den Folgen medinzinischer Versuche. Die Überlebenden waren für ihr ganzes Leben psychisch und physisch geschädigt. 

Als Entlassene aus dem KZ waren sie außerdem gebrandmarkt. Das Verhalten der Dorfgemeinschaft zwang sie, den Ort zu verlassen, um sich als Haushaltshilfen oder Hilfsarbeiterinnen auswärts Arbeit zu suchen. Aber auch im neuen Wohnort verbreitete sich die Nachricht schnell, dass sie „mal im Lager waren“. Die Ächtung wirkte bis weit in die Nachkriegsjahre hinein. 

Die Anträge der Frauen auf Entschädigung wurden abgelehnt. Begründung: Sie hätten die Nachteile in der NS-Zeit nicht aus politischen Gründen erfahren, sondern wegen sittlicher Verfehlungen.- Für die Aufnahme eines Entschädigungsverfahrens verlangten die Behörden eine Vorauszahlung. Die finanziellen Mittel dafür standen den Frauen nicht zur Verfügung. Mindestens eine der Frauen war nur denunziert worden, weil sie im Alltag Widerstand leistete und den Kriegsgefangenen Lebensmittel zukommen ließen. Das bestätigte sich bei den Ermittlungen der Alliierten nach dem Krieg. Sie erhielt bis heute keine Anerkennung für ihren Mut.

Bisher gibt es nur wenige Erinnerungszeichen für die ermordeten Männer. Über das Schicksal der Frauen wird weitgehend geschwiegen.

Zu Autorin und Autor: Gertrud Graf, geb. 1953, baute seit 1985 den Kontakt zu den Überlebenden der „Wüste“-Lager und deren Angehörigen auf und pflegt ihn bis heute. 1987 Gründungsmitglied und langjährige Vorsitzende der Initiative Gedenkstätte Eckerwald. Maßgeblich beteiligt an der Verwirklichung des „Gedenkpfades Eckerwald“ und des „Lernorts der Geschichte in Schömberg“. Mitglied des Sprecherrates der LAGG Baden-Württemberg und aktiv tätig für das Denkstättenkuratorium NS-Dokumentation Oberschwaben.
Eugen Michelberger, geb 1942, lebt und arbeitet in Oberschwaben, befasst sich seit vielen Jahren mit historischen Recherchen aus der Region und deren Dokumentation in Wort und Bild. Schwerpunkt sind die Geschichte der „Wüste“-Lager, des KZ Spaichingen und der Todesmärsche aus diesen Lagern. Aktiv tätig beim Denkstättenkuratorium NS-Dokumentation Oberschwaben.

Die Dokumentation ist hier zu finden.

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