KZ-Gedenkstätte Neckarelz

Exkursion nach Thil und Esch-sur-Alzette

Eine der Europäischen Kulturhauptstädte des Jahres 2022 ist die luxemburgische Universitätsstadt Esch-sur-Alzette. Der Stadtraum „Esch 2022“ ist dabei grenzübergreifend: der obere Teil des Alzette-Tals liegt in Frankreich, die Stadt Esch, früher ein Zentrum der luxemburgischen Schwerindustrie, nur ein paar Kilometer entfernt in Luxemburg.

Wenig bekannt ist, dass auf dem Gebiet von „Esch 2022 zwei ehemalige Außenlager-Orte des Konzentrationslagers Natzweiler liegen: Thil/Longwy und Deutsch-Oth (Audun-le-Tiche). Deshalb hatte die KZ-Gedenkstätte Neckarelz im Juli zu einer Exkursion nach Thil und Esch eingeladen; sie sollte Erinnerungskultur und das Erlebnis der Kulturhauptstadt verbinden. Fünfzehn Teilnehmer:innen schlossen sich an, bunt gemischt nach Alter und Berufen, unterschiedlich auch im Grad der Vertrautheit mit der KZ-Thematik.

Die Führung auf dem ehemaligen Gelände des ehemaligen Außenlagers Thil übernahm Frédérique Neau-Dufour, vielen gut bekannt als frühere Leiterin des Centre européen du résistant déporté, also der Gedenkstätte am Ort des Hauptlagers Natzweiler. Derzeit koordiniert sie das Veranstaltungsprogramm für den französischen Teil der Kulturhauptstadt. Unterstützt wurde sie von Jean-Charles Spigarelli und Daniel Pascolini, beide ehrenamtlich in der Association pour la mémoire et la reconnaissance du camp de concentration de Thil tätig.

Das ehemalige Lagergelände in einem Tal außerhalb des Dorfes Thil wird von der hoch gelegenen sogenannten Krypta dominiert, in der allerdings niemand begraben liegt. Diese wurde bereits 1946 über dem Krematoriumsofen errichtet, der ebenfalls nicht für KZ-Häftlinge zum Einsatz kam. Doch ist dieses Gebäude ein Zeugnis einer ausgesprochen frühen Erinnerungskultur am Ort eines Außenlagers von Natzweiler. Allerdings war das Gedenken dort lange Zeit eher allgemein auf NS-Besatzung und Widerstandsbewegung bezogen, die konkrete Lokalgeschichte stand nicht im Fokus.

Dies ändert sich gerade: In der jahrzehntelang hermetisch verschlossenen und bis heute für Besucher sonst nicht zugänglichen Erzmine von Tiercelet, die mitten im Dorf Thil liegt, hat vor einem Jahr eine archäologische Erkundung stattgefunden und eindrucksvolle Fundstücke zutage gefördert. Noch nicht geklärt ist indes der genaue Ort des Lagers Deutsch-Oth im Nachbarort, das nur eine einzige Woche Ende August 1944 bestand.

Das KZ-Außenlager Thil existierte 72 Tage, vom 20. Juni bis zum 1. September 1944; dann setzte das Vorrücken der Alliierten dem Lager wie der unterirdischen Fabrikation der „Vergeltungswaffe“ V1 unter den Tarnnamen „Erz“ und „Minette“ ein Ende. In Thil waren fast ausschließlich ungarische Juden inhaftiert. Anders als bei vergleichbaren Rüstungsprojekten waren sie im KZ Auschwitz nach ihrer Qualifikation als Metall-Facharbeiter ausgesucht und teilweise bei VW in Wolfsburg/Fallersleben für die V1-Produktion geschult worden. Bei der hastigen Evakuierung der 857 Häftlinge Anfang September brachte SS-Oberscharführer Emil Büttner 500 Männer sowie den Großteil der Funktionshäftlinge zum Außenlager Kochendorf ins Neckartal. Bis März 1945 bauten sie dort in der Salzmine Flugzeug- und Waffenteile. Die 300 anderen mussten im Bereich des Lagers Mittelbau-Dora im Harz weiterhin an den „Vergeltungswaffen“ arbeiten.

In Esch wartete am Sonntag ebenfalls ein spannendes Programm: ein Spaziergang durch die Hauptstraße mit Fokus auf die NS-Besatzung von 1940 bis 1944 und den wachsenden Widerstand dagegen. Das gesamte Land Luxemburg sollte damals von der Landkarte verschwinden, die Menschen zwangsweise „eingedeutscht“ und ins Reich eingegliedert werden. Parallelen zum Ukraine-Krieg drängten sich unwillkürlich auf. Ein Kontrastprogramm dazu bildeten die Werke von Frans Masereel (1889–1972) im Musée de la Résistance. Jede einzelne Druckplatte des zutiefst von der Idee des Pazifismus durchdrungenen belgischen Grafikers und Holzschneiders ist ein Plädoyer gegen Krieg und Gewalt.

Doch zuvor hatte die Gruppe Gelegenheit, die faszinierende Architektur im Stadtquartier Esch-Belval kennenzulernen, wo modernste Gebäude mitten in die hoch aufragenden früheren Hochöfen hineingeschachtelt sind. Dort liegt auch die neue luxemburgische Universität. Der Remix aus Industrie-Vergangenheit und künstlerischen und wissenschaftlichen Zukunftsideen bildet das Leitmotiv der Kulturhauptstadt Esch. Das an diesem Sommerabend bis spät in die Nacht wogende „Hochofenfest“ mit Musik, Tanz und Feuer-Kunst zwischen Röhren, Treppen und Schornsteinen bildete einen weiteren Höhepunkt dieser besonderen Reise.

Juli 2022, Text: Dorothee Roos

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