Antiziganismus in der Fotografie

Stereotype werden verbreitet

Das Bild vom „reisenden, unzivilisierten Zigeuner“ wurde jahrhundertelang in Malerei und Literatur weitergegeben. Doch erst mit der Erfindung der Fotografie wurden diese Stereotype massenhaft verbreitet.

 

Es sind ganz normale, fast schon spießige Fotos: Eltern und Kinder in ihren besten Kleidern, mit heiligem Ernst in die Linse blickend. Oder Soldatenfotos, auf denen sich die Familie stolz hinter dem Vater in der vornehmen Uniform versammelt. Bilder dieser Art finden sich im Archiv des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, für das Dr. Frank Reuter bis Ende 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. „Die Fotos entsprechen den Konventionen der damaligen Zeit“, sagt der Historiker, der diese und viele weitere Aufnahmen für seine wissenschaftliche Untersuchung „Der Bann des Fremden“ untersucht hat.

 

Eigene Fotos der Minderheit unterscheiden sich stark von Fremdbildern

Diese Selbstbilder von Angehörigen der Minderheit, die meist aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stammen, bringen ein Streben nach bürgerlichen Konventionen zum Ausdruck – „und sie unterscheiden sich eklatant von den Fremdbildern des ,Zigeuners‘“, so Reuter. Unter Fremdbildern versteht man die Wahrnehmungen, Gefühle und Bewertungen, die sich Außenstehende – also in diesem Fall die Mehrheitsgesellschaft – von einer Person machen.

In den Fremdbildern werden die Vorurteile und Stigmata, die mit dem Bild des „Zigeuners“ verbunden werden, weitergegeben. Während sich die Angehörigen der Minderheit selbst so darstellen, wie es auch die Mehrheitsgesellschaft auf ihren Fotos tut, zeigen Fotos von anderen stigmatisierende Elemente. Die Abgebildeten werden entpersonalisiert, als „Wilde“ dargestellt, als Trophäe, tanzend und musizierend.

Beispielsweise ein Foto der Sammlung wurde in den 1930er Jahren im österreichischen Burgenland aufgenommen: Links im Bild sitzt eine Frau auf dem Erdboden und stillt ihr Baby, während sie eine Zigarette im Mund hält. Die Bildmitte nimmt ein großes Wagenrad ein, während vorne rechts ein Kind sitzt und keck in die Kamera blickt. Wie zufällig liegt neben ihm eine Violine. „Das Bild vereint alle zentralen Zigeunerstereotype“, sagt Reuter. Das Sitzen auf dem Boden, das Wagenrad des Wohnwagens, die rauchende Mutter, das Kind, dem die Musikalität in die Wiege gelegt wird – damit werde dem Betrachter ein Gegenentwurf zum bürgerlichen Mutterbild der Mehrheitsgesellschaft vorgeführt: „Das Zeigen der Unzivilisierten macht das eigene Erreichte greifbar.“

 

Stereotypengeschichte als Technikgeschichte

Entscheidend bei der „fotografischen Konstruktion des Zigeuners“ ist, dass all diese Bilder von den Betrachtern sofort entschlüsselt und die Attribute zugeordnet werden können. Reuter fasst die Folgen zusammen: „Als die Fotografie erfunden wurde, war das Bild des ,Zigeuners‘ fertig.“ Die diskriminierenden Stereotype waren bereits über Jahrhunderte in der Literatur, in der Malerei und lange Zeit auch in Kinderbüchern weitergegeben und eingeübt worden. Mithilfe der Fotografie jedoch können die Bilder und damit auch die Stereotype massenhaft verbreitet werden: So finde Anfang des 20. Jahrhunderts die „verführerische Zigeunerin“ als Postkartenmotiv oder abgedruckt in Illustrierten ihren Weg in nahezu jeden Haushalt.

 

Fotografie kann auch der Emanzipation dienen

Auf eine neue Dimension der Gewalt verweist das Medium Fotografie schließlich im Nationalsozialismus, als die Fotografie zur „Rassendiagnose“ herangezogen wird. Rassenhygieniker fotografieren tausendfach einzelne Körperteile, um „dem Zigeuner“ mit vermeintlich wissenschaftlichen Methoden auf die Spur zu kommen, und leisten damit ihren Beitrag zum Völkermord.

Fotografie, so Reuter, könne jedoch auch ein Medium der Emanzipation sein. Dies zeigen Bilder aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung wie auch die sozialdokumentarische Fotografie, die die Dargestellten in ihrer Individualität zeigten und ernst nähmen, statt Stereotype zu wiederholen.

 


Der Text basiert auf einem Vortrag von Dr. Frank Reuter im Rahmen der Tagung „Erscheinungsformen des Antiziganismus“ am 13. November 2017.

Literatur:
Frank Reuter: Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des „Zigeuners“, Wallstein Verlag 2014.

Zur Person

Dr. Frank Reuter war bis Ende 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma und ist seit 1. Januar 2018 wissenschaftlicher Geschäftsführer der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg.
 

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